Wo brennt‘s? die Kunstfeuerwehr Worpswede
Kunstschule PAULA Worpswede e.V./PAULA Lebendiger Galerieraum /// Niedersachsen
Beteiligte: mindestens 250 Kinder und Jugendliche
Alter: 5 bis 22 Jahre
Projektdauer: von 2019 bis 30.12.20, in Beantragung bis 2022
Kooperationspartner*innen: Gemeindefeuerwehr Worpswede und Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg
Die Kunstfeuerwehr ist ein mobiles Atelier der Kunstschule PAULA Worpswede e.V., der HKS Ottersberg und der Gemeindefeuerwehr. Die Frage „wo brennt‘s?“ bewegt ein Team aus Künstler*innen mit einem umfunktionierten Feuerwehrauto und ausgestattet mit Kunstmaterial durch die Dörfer. Mit circa 50 Einsätzen an verschiedenen Standorten pro Jahr werden die Teilnehmer*innen seit 2019 eingeladen, auf unterschiedlichen Ebenen an einem partizipatorischen Kunstprojekt teilzuhaben.
Ruft ein Einsatz, kommt das fahrende Atelier mit künstlerischer Einsatzleitung und löscht mit Impulsen, Farben, Performance, Text, Klang und Tanz den Kunsthunger der Kinder und Jugendlichen. Ohne Voranmeldung, können alle, die vom Kunstfeuer gehört haben, kostenlos daran teilnehmen. Die Teammitglieder verstehen sich sowohl als Feuerentfacher*innen wie auch als Feuerlöscher*innen, die Kinder und Jugendliche in ihrer künstlerischen Entwicklung anstoßen, abholen und begleiten. Mitten im ländlichen Raum, an Orten wo Kunst eher selten für Begegnungen sorgt, schlägt die Kunstfeuerwehr Alarm, parkt ihr Mobil und öffnet ihre Türen. Auch das Kunstmobil selbst wurde von Jugendlichen umgestaltet. Die Teilnehmer*innen bestimmten selbst, wie der Innenraum aussehen sollte und welches künstlerische Material angeboten wird.
Zentral ist, dass die Kunstfeuerwehr in Bezug zur Lebenswirklichkeit ihrer Nutzer*innen steht. „Wo brennt’s?“ als Leitfrage der künstlerischen Arbeit schafft einen Begegnungsraum, der kritische Fragen zu dörflichen Strukturen, ländlichem Raum, zwischenmenschlichen Beziehungen, Hierarchien etc. in einer Gemeinschaft aufwirft und dazu anregt, mit Hilfe künstlerischer Mittel Antworten zu formulieren.
Wir waren am Anfang dabei und haben das Auto zum Atelier umgebaut. Es gab vieles zu tun, reparieren, bauen und wir konnten machen, worauf wir Lust hatten. In den Pausen haben wir viel geredet. Meine Freunde und ich sind aus Syrien geflüchtet. Vieles von dem, was wir an dem Auto gemacht haben, kannten wir schon, an Autos rumschrauben, Dinge bauen. Ich konnte zeigen, was ich kann und auch Neues ausprobieren, wie malen. Ich war stolz, bei der Einweihung, auch wegen mir, dass sie nun Einsätze fahren.
Imour, 15 Jahre
Begründung der Jury: Seit 2019 fährt die „Kunstfeuerwehr“ durch Worpswede und den Landkreis Osterholz in Niedersachsen. Auf Initiative der Kunstschule PAULA Worpswede e.V. haben Kinder, Jugendliche, Studierende, Kulturpädagog*innen und Künstler*innen in Zusammenarbeit mit der örtlichen Gemeindefeuerwehr und der Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg ein signalrotes Feuerwehrauto zum fahrenden Atelier umgebaut. Seither ist die „Kunstfeuerwehr“ weit über 50 Mal im Einsatz gewesen und hat dabei keine einzige Kunstaktion zweimal angeboten. Denn die „Kunstfeuerwehr“ versteht sich als künstlerische Intervention und erzeugt in Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen für die angefahrenen Dörfer einmalige Events zu gesell-schaftspolitisch relevanten Fragen. Das kollektive Modellieren des idealen Landwirts in Ton beim Erntefest oder das Bedrucken von T-Shirts „Ich brenne für ...“ beim Flohmarkt der Feu-erwehr: Wo was los ist, wird das Feuer für Kunst und Kultur als gesellschaftsgestaltende Kraft entfacht. Wo nichts los ist, wie etwa im Umkreis von 15 Kilometern um die Künstlerkolonie Worpswede herum, werden Feuer der Langeweile und des Mangels an Perspektiven mit Kunst, Kultur und den richtigen Fragen gelöscht. Auch die Corona-Pandemie konnte die Kunstfeuerwehr nicht bremsen. Unter dem Motto „Wir entfachen Dein Feuer“ hat die Einsatzmannschaft mit Jugendlichen kurzerhand künstlerische Interventionen für zu Hause entwickelt. Das Projekt begeistert durch ein konsequentes, durch und durch stimmiges Projektdesign, das sehr nah an den Kindern und Jugendlichen vor Ort entwickelt wurde. Die im besten Wortsinn niedrigschwellige Möglichkeit, transformative Kunst im dörflichen Alltag kennenzulernen, kann helfen, Gemeinschaft dort zu verfestigen, wo sie sich aufzulösen beginnt. Die ungewöhnliche Kooperationskonstellation hat großes Potenzial, kulturpädagogischen Nachwuchs für die Jugendkunstschularbeit auf dem Lande zu binden. Diese Feuerwehr entfacht Feuer der Begeisterung: Bodenständig und doch originell, ortsspezifisch und übertragbar, politisch und jugendgerecht. Hervorragend!